Im Juni letzten Jahres hatte ich mich entschieden, dem Verein „MENTOR – Die Leselernhelfer Nordhessen e. V.“ beizutreten. Ich habe mich für eine Förderschule entschieden, weil sie laut Internetauftritt eine überschaubare Schule mit ca. 60 Schülern war. Inzwischen sind es 81 Schüler nach den Sommerferien dieses Jahr geworden.
Meine Vorstellung, immer einen Ansprechpartner in der Schule zu haben, wurde weit übertroffen. Die Personen, mit denen ich Kontakt habe, im Sekretariat, mit der Lehrerschaft, verschiedenen Praktikanten und Therapeuten, geben mir das Gefühl, dazu zugehören.
An einer Förderschule sind immer ganz besondere Kinder; sonst wären sie auch nicht in einer solchen Einrichtung. Die Einstufung der Klassen in 1., 2., 3. usw. Schuljahr gibt es hier nicht. Die Klassen orientieren sich nach Stufen. In einer Klasse ist z. B. die Stufe 1 – 4 und das Alter in dieser Stufe reicht von sechs bis zehn Jahre. Oder in der Stufe 4 – 6 sind die Schüler und Schülerinnen zehn bis zwölf Jahre alt und in Stufe 5 – 7 elf bis dreizehn Jahre alt. In jeder Klasse sind etwa 12 Schüler und Schülerinnen. Das Lehrerteam einer Klasse ist häufig doppelt besetzt und wird von Schulassistenten ergänzt.
Hier fallen besonders die geistigen Fähigkeiten der Kinder ins Gewicht. Das Unterrichtsangebot umfasst verschiedene Themen wie z. B. Schreiben, Malen, mit dem Tablet arbeiten. Die Schüler suchen sich ein Thema aus, das ihnen für den heutigen Tag zusagt. Ständig brauchen sie den Wechsel zwischen Konzentration und Bewegung. Wenn möglich, werden kurze Pausen auf dem Schulhof eingelegt. Wenn ich in der großen Pause auf dem Schulhof ankomme, fällt mir die besondere Disziplin der Schüler auf. Überwiegend gehen sie achtsam miteinander um; großes Geschrei habe ich bis heute dort nicht mitbekommen.
Was ich als ganz besonders beim Umgang mit den Kindern erlebt habe, ist die anscheinend endlose Geduld der Lehrer und Lehrerinnen (was eine innere Unruhe nicht ausschließt). So braucht das Personal manchmal Engelszungen, um ein Kind zu einem Vorgang zu bewegen. Denn ein „Nein“ bei einigen Schülern oder Schülerinnen scheint oft in „Stein“ gemeißelt zu sein. Auch die Ursache plötzlich hervorquellender Tränen muss öfters erkundet werden. Das kann manchmal dauern. Als Lesepatin bekomme ich diese Situationen einmal in der Woche mit.
Es gibt auch unwillige Lesekinder. Ein Kind, das die Arme verschränkt und vom Stuhl rutscht und zum Schluss auf der Erde liegt, kann ich in der einen Stunde schlecht motivieren. Aber es ist kein Problem, ein anderes Kind aus der Klasse in die Lesestunde mitzunehmen. In meinem ersten Jahr als Lesepatin hatte ich ein Kind mit Sprechstörung. Lesen und Schreiben waren hier nicht möglich. Also machte ich Spiele mit ihm, bei denen es sprechen musste und manchmal auch etwas rechnen. Ein anderes Kind betonte mir gegenüber immer, wie stark es sei, wollte aber nicht so gerne lesen. In die nächste Stunde brachte ich Hanteln mit. Zwischen zwei gelesenen Seiten wurden Hantelübungen gemacht. Das kam gut an.
Kreativität ist für mich als Lesepatin an dieser Förderschule immer angesagt. Und so lange ich beim Eintreffen auf dem Schulhof den Ruf anderer Schüler höre: „Timmi (Name geändert), deine Lesepatin ist da!“, fühle ich mich hier willkommen.
Marina Riedel
Mentorin für Leselernhilfe